Byzanz an frühneuzeitlichen Höfen. Rezeptionen, Konfrontationen und Projekte

Byzanz an frühneuzeitlichen Höfen. Rezeptionen, Konfrontationen und Projekte

Organizer(s)
Jan Kusber / Klaus Pietschmann / Matthias Schnettger, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Funded by
Leibniz-WissenschaftsCampus – Byzanz zwischen Orient und Okzident, Mainz / Frankfurt am Main
Location
Mainz
Country
Germany
Took place
Hybrid
From - Until
10.11.2022 - 12.11.2022
By
Sabine Reichert, GRK 2304 „Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen“, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Zur Begrüßung ordnete JAN KUSBER die Tagung in das Gesamtprofil des Leibniz WissenschaftsCampus ein, anschließend gab MATTHIAS SCHNETTER eine kurze thematische Einführung. Die Tagung1 widme sich unterschiedlichen Dimensionen der Präsenz von Byzanz an frühneuzeitlichen Höfen. Neben dem Umgang mit Artefakten byzantinischer Provenienz werden auch die Byzanz-Rezeptionen in der Herrschaftsrepräsentation und das an den verschiedenen Höfen verfügbare Wissen über Byzanz untersucht. Als eine weitere Dimension der Thematik benannte Schnettger Konkurrenzen um das byzantinische Erbe. Außerdem gehe es um etwaige Versuche, das byzantinische Erbe wiederzubeleben und nutzbar zu machen.

Die Vorträge bildeten eine große thematische Bandbreite ab und deckten in unterschiedlicher Dichte die dreihundertfünfzig Jahre vom Ende des Byzantinischen Reichs 1453 bis zum späten 18. Jahrhundert ab, mit einzelnen Ausblicken bis ins 19. Jahrhundert. Die Tagung war in drei Sektionen gegliedert, die sich unterschiedlichen politisch-kulturellen Großräumen widmeten.

Den Anfang machte eine Sektion zu Ost- und Südosteuropa. Hier führte BILGE AR (Istanbul) zunächst aus, welche Umnutzungen die Irenenkirche nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen erlebte. Sie wurde in das Areal des Neuen Palasts einbezogen. Sie fungierte als Lagerstätte für erbeutete Waffen und zugleich als Zeughaus. Von der dem göttlichen Frieden geweihten Kirche wurde das Gebäude zu einem Symbol für die militärische Macht der Osmanen, mit dem die Besucher des Palasts gleich beim Betreten des ersten, äußeren Hofs, konfrontiert wurden. JAN KUSBER (Mainz) fragte in seinem Vortrag zum „Griechischen Projekt“ Katharinas II. von Russland weniger nach dem – vom ihm als eher gering bewerteten – realpolitischen Gehalt dieses Projekts als danach, welchem Griechenland denn das vorrangige Interesse der Zarin gegolten habe. Trotz aller Byzanz-Bezüge im Einzelnen stufte er das klassische Griechenland als den primären Referenzpunkt für Katarina ein. HANS-CHRISTIAN MANER (Mainz) zeigte, welche Bedeutung das Anknüpfen an byzantinische Traditionen für die Herrschaftslegitimation der Fürsten der Moldau und der Walachei besaß, die zugleich peinlich darum bemüht waren, keinen Zweifel an ihrer Loyalität zu den osmanischen Vasallen, ihren Oberherren, aufkommen zu lassen, die ja auch ihrerseits das kaiserliche Erbe von Byzanz für sich beanspruchten. YEVGENIYA IGNATENKO (Kiew) zeigte, wie sehr die Orthodoxen Polen-Litauens in den konfessionellen Spannungen am Ende des 16. Jahrhunderts aus Gründen der Selbstvergewisserung verstärkt die Traditionen der griechischen Orthodoxie pflegten. Besondere Aufmerksamkeit widmete sie den vielfältigen Aktivitäten des orthodoxen Fürsten Kostiantyn Vasyl Ostrozkyi. Unter anderem ging sie auf die Adaption griechischer Gesänge ein.

Die zweite Sektion war dem Heiligen Römischen Reich gewidmet. FRANCESCO MONTECINI (Rom) erschloss die Überlieferungsgeschichte der Chronik Jacopo Tebaldis, einer der wichtigsten Quellen zur Belagerung und zum Fall Konstantinopels 1453. Dabei beleuchtete er vor allem die Rolle des burgundischen Hofs, denn Herzog Philipp der Gute war aufgrund seiner Ansprüche auf den östlichen Kaiserthron in besonderer Weise an der Situation in Konstantinopel interessiert. NATHANAEL ASCHENBRENNER (San Diego) zeigte Byzanz-Bezüge in der Herrschaftsrepräsentation Kaiser Maximilians I. auf. Im Umfeld dieses Habsburgers, der für seine elaborierte Selbstdarstellung unter Nutzung der zu seiner Zeit neuen Druckmedien bekannt ist, lassen sich sehr unterschiedliche Vorstellungen und Inanspruchnahmen von Byzanz nachweisen. Während sich Maximilian gemäß der Konzeption der Translatio imperii schwerlich in die Tradition des hoch- und spätmittelalterlichen Byzanz stellen konnte, integrierten Johannes Fuchsmagen und Johannes Cuspinianus die byzantinischen Kaiser bis zum 15. Jahrhundert in die Herrschaftsgenealogie Maximilians. IVAN PARVEV (Sofia) spannte einen weiten zeitlichen Bogen, indem er die habsburgische Politik gegenüber dem Osmanischen Reich zwischen 1453 und 1739, also zwischen dem Fall Konstantinopels und dem Frieden von Belgrad, beleuchtete. Pläne, sich der östlichen Kaiserstadt zu bemächtigen, spielten in der Wiener Politik keine prominente Rolle. Ernsthafte Chancen für eine Eroberung Konstantinopels durch die Habsburger sah Parvev nur um die Jahreswende 1687/88 gegeben. NICOLAS MELVANI (Mainz) widmete sich der Rezeption des römisch-kaiserlichen Erbes in Reiseberichten von Gelehrten aus dem Heiligen Römischen Reich. Dabei konzentrierte er sich auf Berichte von Diplomaten und auf Bilder, die die Künstler aus der Entourage der Gesandten anfertigten. Er zeigte, wie diese Berichte die Byzanz-Rezeption im Reich prägten und wie das Wissen über Byzanz seinerseits die Politik gegenüber dem Osmanischen Reich beeinflusste. MATTHIAS SCHNETTGER (Mainz) spürte Byzanz-Bezügen in der Herrschaftsrepräsentation des Wiener Hofs im 17. Jahrhundert nach. Während es aufgrund der Translatio imperii-Konzeption kaum Anknüpfungsmöglichkeiten an das mittelalterliche Byzanz gab, war insbesondere die Kreuzverehrung, die mit Persönlichkeiten wie Konstantin dem Großen und seiner Mutter Helena verknüpft war, geeignet, um eine Brücke zum spätrömisch-frühbyzantinischen Kaisertum zu schlagen. Für Kaiserin Eleonora Gonzaga-Nevers konnte Schnettger eine veritable „Imitatio Sanctae Helenae“ nachweisen. GWENDOLYN DÖRING (Mainz) analysierte das 1712 an der Hamburger Gänsemarkt-Oper aufgeführte Singspiel „Die wiederhergestellte Ruh oder Die gecrönte Tapferkeit des Heraclius“ und arbeitete vielschichtige tagespolitische Bezüge heraus. Neben Kaiser Karl VI. als Wiederhersteller des Friedens in Ungarn wurde auch seine Gemahlin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel geehrt, für die eine Abkunft von Konstantin VII. Porphyrogennetos in Anspruch genommen wurde.

Die dritte Sektion beschäftigte sich mit italienischen Perspektiven auf Byzanz. RAF VAN ROOY (Löwen) zeigte auf, wie Konstantin Laskaris und Bonino Mombrizio den Fall von Konstantinopel verarbeiteten. Sie prägten damit das Byzanz-Bild am Hof der Sforza, die ein großes Interesse an Griechenland zeigten. Humanistische und politische Interessen verbanden sich hier. FILIP MALESEVIC (Fribourg) beschäftigte sich mit dem Bestreben des Kardinals Guglielmo Sirleto, die patristische Tradition für die römische Liturgie wiederzubeleben. Er ordnete diese Aktivitäten in die kurialen Reform- und Erneuerungsbestrebungen aus dem Geist des Trienter Konzils ein. Gleichzeitig ließen sie das Interesse Roms am orthodoxen Osten Europas bzw. an einer Integration der griechischen „Schismatiker“ in die universale, katholische Kirche erkennen. Zum Abschluss gewährte SONJA SCHÖNAUER (Köln) einen tiefen Einblick in die komplexe Überlieferungsgeschichte einer der Hauptquellen zur spätbyzantinischen Geschichte. Der ursprüngliche Text des Georgios Sphrantzes (Chronicon Minus) wurde unter dem Eindruck der Schlacht von Lepanto (1571) durch den nach Italien geflohenen Metropoliten von Monemvasia Makarios Melissourgos zum Chronicon Maius ausgebaut, in das eine neben weiteren älteren historiographischen Texten auch Ergänzungen Eingang fanden, die gezielt eine Verwandtschaft der Melissourgosi mit den berühmten Melissenoi postulierten.

Wie KLAUS PIETSCHMANN (Mainz) in seinem Resümee ausführte, hat die Tagung unterschiedliche Dimensionen der Auseinandersetzung frühneuzeitlicher Höfe mit Byzanz und seinem Erbe deutlich werden lassen. Neben dem Stellenwert von Byzanz in der Herrschaftsrepräsentation und für die dynastische Legitimation wurde ausgelotet, welche Rolle die Auseinandersetzung mit dem byzantinischen Erbe im Zusammenhang mit der Konfrontation mit dem Osmanischen Reich spielte. Mehrere Referate erörterten die Frage, inwieweit die Idee einer Translatio imperii in Ost und West die Byzanz-Rezeption beeinflusste. Es wurde deutlich, dass die Byzanz-Rezeption auf unterschiedlichen Wegen und Niveaus erfolgte. Manchmal basierten die Vorstellungen von Byzanz auf Augenzeugenberichten oder Artefakten wie Ruinen, Münzen oder Reliquien. Manchmal erreichte die Auseinandersetzung mit Byzanz ein wissenschaftliches Niveau. Manchmal wurden bloße Klischees reproduziert. Ein verbindendes Element zwischen Byzanz und den frühneuzeitlichen Höfen war die christliche Religion. Aber auch wissenschaftliche Interessen oder eine – reale oder konstruierte – dynastische Kontinuität konnten die Byzanz-Rezeption befördern.

Obwohl die Tagung kein vollständiges Bild liefern konnte, so wurden doch, wie von den Veranstaltern angestrebt, unterschiedliche Aspekte, Dimensionen und Formen der Byzanz-Rezeption an frühneuzeitlichen Höfen sichtbar. Das bemerkenswert facettenreiche Panorama wurde nicht zuletzt dadurch ermöglicht, dass es gelungen war, sehr unterschiedliche Disziplinen zusammenzubringen. Alles in allem lässt sich von einer fragmentierten Byzanz-Rezeption sprechen: Es wurde selten das „ganze“ Byzanz in den Blick genommen, sondern es wurden diejenigen Aspekte herausgegriffen, die für die verschiedenen Akteure und Akteurinnen in ihren spezifischen Kontexten attraktiv und womöglich nützlich waren.

Konferenzübersicht:

Jan Kusber / Matthais Schnettger (Mainz): Begrüßung und thematische Einführung

Sektion I: Ost- und Südosteuropa

Bilge Ar (Istanbul): From a Byzantine Ceremonial Church to a Symbol of Ottoman Military Power: St. Irene in Istanbul as Part of the Ottoman Imperial Court

Jan Kusber (Mainz): Katharina II., Byzanz und das „Griechische Projekt“

Hans-Christian Maner (Mainz): Herrschaft und byzantinisches Erbe in der Moldau und der Walachei vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert

Yevgeniya Ignatenko (Kiew, online): Byzantium in the Cultural and Political Life of the Orthodox of the Polish-Lithuanian Commonwealth in the 16th-17th Centuries

Przemysław Marciniak (Katowice/München): On the Presence of Byzantine Friendship in Premodern Europe (entfallen)

Sektion II: Heiliges Römisches Reich

Francesco Monticini (Rom, online): Jacopo Tedaldi’s Chronicle and the Echo of the Fall of Byzantium at the Court of Burgundy

Nathanael Aschenbrenner (San Diego): “Ascend the Other Imperial Throne”: The Eastern Empire in the Court of Maximilian I

Ivan Parvev (Sofia): Konstantinopel und die habsburgische Osmanenpolitik, 1453-1739. Ideologische, geostrategische und militärische Aspekte

Nicholas Melvani (Mainz): Byzantine Constantinople and Habsburg Global Aspirations: The Reception of the Roman Imperial Heritage in Ottoman Istanbul by Scholars from the Holy Roman Empire

Matthias Schnettger (Mainz): Im Zeichen des Kreuzes. Byzanz-Bezüge in der Herrschaftsrepräsentation des Wiener Hofes im 17. Jahrhundert

Gwendolyn Döring (Mainz): Byzanz in Szene gesetzt. Kaiser Herakleios als Operngestalt im Kontext frühneuzeitlicher Herrschaftsrepräsentation

Sektion III: Italien

Raf Van Rooy (Leuven): Scholarly Perceptions of Byzantium at the Sforza Court: The Migrant Grammarian Constantine Lascaris versus his Translator Bonino Mombrizio

Filip Malesevic (Fribourg): Byzanz in der Stadt des Drachens. Kardinal Guglielmo Sirleto, die Cappella Gregoriana und die Herstellung einer basilianischen Liturgie an der römischen Kurie im späten Cinquecento

Sonja Schönauer (Köln): Die Erben von Byzanz am Hofe des spanischen Vizekönigs in Neapel: Neue Forschungsperspektiven auf der Basis einer Neuedition des Chronicon maius

Anmerkung:
1 Homepage zur Tagung: https://www.byzanz-mainz.de/forschung/a/article/byzanz-an-fruehneuzeitlichen-hoefen-rezeptionen-konfrontationen-und-projekte-1/.

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